Ich bin mir sicher, in vielen Unternehmen sind wir ganz nah an einem neuen Verständnis von Macht. Gewohnte Machtlosigkeiten, die wir meist Routine, Struktur und Organigramm nennen, mutieren krisenbedingt zu Formen einer resignativen Ohnmacht. Dies ist, auch wenn es sich nicht so anfühlt, ein überaus kreativer Prozess. Schon bald sind viele Unternehmen, bzw. die Menschen in ihnen, an einem tipping point angelangt, und zwar an der Weggabelung für produktive Chancen versus Wiedereinstieg in alte Gewohnheiten. Genau an diesem Punkt stellt sich auf ganz andere Weise die Frage der Macht.

Machtlegitimation

Wir erleben aktuell ganz typische Reaktionen. Wenn Routinen und gefestigte Strukturen derart zu Fall gebracht werden wie in dieser Krise, dann ist die obligatorische Macht in Gefahr. Das bringt die gewohnten Macher in Zugzwang. Es muss doch etwas gemacht werden. Das führt dazu, dass das Zepter der Macht energisch gepackt wird. Und just im Moment der Erfüllung dieser Rollenerwartung erkennen die Macher völlig neue Möglichkeiten der Machtgestaltung. Die Krise legitimiert nämlich auch über gewohnte Machtbefugnisse und bisher gelebte Grenzlinien hinweg. Verstärkt wird diese Entwicklung, dass alle Augen auf das Management und ihre Kommandos schauen. Ein komplexes Reiz-Reaktions-Schema kommt in Gang und befeuert eine neue Machtrolle des Managements. Die neue Qualität der Rolle des Retters macht’s möglich.

Und, was machen alle anderen ohne eine definierte Machtlegitimation? Sehr viele freuen sich, dass jemand Ordnung und Struktur in die Sache bringt und klare Entscheidungen trifft. Das ist ein bisschen wie im Krankenhaus. Demütig ergibt sich selbst der größte Freigeist und unterwirft sich als Patient den Machtgepflogenheiten des Helfersystems. Das ist der Preis, Autonomie gegen Hilfe.

Die Varianten der Machtspiele, ob in der Politik oder in Unternehmen, werden durch eine zunehmende Kriegsrhetorik flankiert. Existenzängste befeuern den Kampfgeist. So wird Unternehmertum schnell zum Positionierungs- und Überlebenskampf. Parallel dazu rufen alle wie sperrende Jungvögel nach dem Staat – hilf mir – füttere mich – und warum bekommt der andere mehr als ich…?

So. Wie und warum soll es in dieser zunehmend wachsenden Anforderung an ein Krisenmanagement eine neue Art und ein neues Verständnis von Macht in den Unternehmen geben? Die Machtfrage ist doch beantwortet wie nie zuvor!

Kreativer Stubenarrest

Millionen Menschen in den Unternehmen befinden sich seit Tagen im verordneten Stubenarrest, mit einer kleinen Bannmeile für den individuellen Außengang. In der Kindheit sollte der Stubenarrest als Form der hierarchischen Sanktion nicht nur der Strafe, sondern auch der Läuterung dienen. Ein kreatives Spannungsfeld entsteht: Zwangsinnehaltens des Körpers und Denkapparat auf Hochtouren. In der ersten Phase dieser Ausbremsung ist man eine ganze Zeit lang mit der Auseinandersetzung und der Realisierung der Situation beschäftigt. Meist wird diese Zeit mit einem hyperaktivem Aufräum- und Gartenarbeitswahn gekoppelt. Wir sind es nicht gewohnt, einfach mal nichts zu tun. Nach dieser ersten inneren Abwehrreaktion sind mittlerweile die meisten in einer Phase neuer Einsichten und grundlegender Gedanken angekommen. Ab hier arrangiert man sich allmählich mit dem Ist und der Zukunft. Wenn der Kontext derart abrupt verändert wird, dann haben wir die Chance völlig anders auf gewohnte und bislang unbewusst ablaufende Prozesse sowie unreflektierte Usance zu schauen. Ich bin mir sicher, im Stillen haben sich enorm viele Mitarbeiter, trotz einem sorgenvollen Blick gen Zukunft, kritische und kreative Gedanken über die Arbeit in Zukunft gemacht. Hier entsteht eine Flut an Ideen, von situativen und provisorischen Maßnahmen bis hin zu grundlegenden Themen und auch neuen Geschäftsfeldern. Unser Gehirn kann eigentlich gar nicht anders.

Unsichtbare Verluste und Verschwendungen

Die Einbußen der Volkswirtschaft sowie die Verluste der Unternehmen sind immens, einfach unvorstellbar. Aber während wir das mehr und mehr feststellen, retten, was zu retten ist und dabei zunehmend nach Hilfe rufen, erkennen wir nicht, was wir alles an immensen Werten sonst noch verschwenden. Stellen Sie sich das einmal vor. Da sitzen mehrere Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit all ihrem kreativen Denk- und Problemlösungspotenzial zu Hause oder absolvieren nur brav einen Notdienst. Was für eine Verschwendung. Aus diesen Potenzialen muss doch vielmehr ‚gemacht‘ werden, bzw. man muss sie, die Menschen, vielmehr machen lassen. Potenziale brauchen echte Herausforderungen; davon haben wir im Moment mehr als genug. Stattdessen versucht das Management im Headquarter in elitären Grüppchen alleine Lösungen zu finden und die Mitarbeiterschaft im Pausenmodus mit digitalen Botschaften bei Laune zu halten. Alles wird auf die Startlinie dirigiert, damit es schon bald wieder losgehen kann wie gewohnt.

Meine Forderung klingt mindestens ungewohnt, aber die Wortwahl passt ja bestens zur aktuellen Kampf-Rhetorik:

Lasst die Potenziale an die Macht, lasst sie endlich mal machen!

Feelgood versus Effizienz?

Potenzialentwickler und Werteromantiker, die helfen doch im Katastrophenfall nicht weiter. Wenn mein Haus brennt, dann wünsche ich mir doch auf jeden Fall eine professionelle und aufeinander abgestimmte Feuerwehrtruppe mit klaren Kommandos und schnellen Entscheidungen. Ein lockeres Brainstroming ob der besten Löschaktion würde mich in so einer Situation auf die Palme bringen. Jetzt muss doch rasch gehandelt werden, um die schlimmsten Verluste zu minimieren.

Die Krise ist aktuell aber kein Brandherd mehr. Sie ist mittlerweile eher ein Teppich gefährlich glimmender Glutnester bei immer wieder unkontrolliert aufkommenden Winden. Die Krise ist dramatisch, aber sie ist nun in gewisser Weise beobachtbar und damit planbarer. So sieht es mittlerweile auch der Gesundheitsminister.

Die Gelegenheit ist ein galoppierendes Pferd

Die Zeit ist reif und es gibt kein Risiko. Zeit haben wir im Moment sogar mehr als genug und die menschlichen Kreativpotenziale für Forschung und Fortschritt sind wie elektrisiert. Bringen Sie jetzt so viele Mitarbeiter wie möglich in einen kreativen Denk und Gestaltungsprozess der Zukunft. Sie werden mehr als überrascht sein, wie die Mitarbeiter diese kreative Erlaubnis nutzen und loslegen werden.

Der Erfolg ist in diesem Gestaltungsprozess nicht zu verhindern. Die Bereitschaft, heilige Kühe zu schlachten und verkrustete Gewohnheiten zu durchbrechen war noch nie so hoch. Für die Erreichung einer solchen Veränderungsbereitschaft brauchen Sie im Unternehmen ansonsten Wochen sowie einige zigtausend Euro an Beraterhonoraren. Jede und jeder im Unternehmen wartet im Grunde nur darauf, seinen wertvollen Beitrag zu leisten. Es ist die Zeit Weichen zu stellen und Schlaues zu tun.

Klammern Sie noch oder lassen Sie schon?

Was wird mächtiger, je mehr man sie überträgt? Die Macht!

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