Banken – und überhaupt das ganze Finanz- und Versicherungsgewerbe – sind berühmt für Ihre Bautätigkeit. Gerne hoch hinaus. Gerne mit viel Glas, das Transparenz symbolisieren soll. Ob Wall Street oder die Skyline von Frankfurt, hier wird durch die Architektur ein Anspruch auf Bedeutung für unsere Welt deutlich, um nicht von einem Anspruch auf Macht sprechen zu wollen.
Ob dieser Anspruch in Zeiten des Wandels aufrecht erhalten werden kann, wird sich zeigen. Für die Menschen, die in diesen Gebäuden arbeiten, wünsche ich mir dies. Und eigentlich sind diese Menschen es, deren Potenzial es erst ermöglicht, dass Unternehmen so hoch hinaus kommen.
Aber wird dieses Potenzial wirklich genutzt? Oder zeigen die Zeiten des Wandels, ja der Krise, wie sie seit einigen Jahren im Finanzsektor spürbar ist, dass wir hier viel Potenzial verschenken?
Ein Beispiel möchte ich Ihnen vorstellen.
Tolle neue Arbeitswelt
Der ultramoderne neue Sitz der Zurich Versicherung in Köln hat für Furore gesorgt. Weil er so schick ist, mit einer Blue Lounge und einer Dachterrasse mit Domblick. Fein. Und vor allem, weil er als eine Einladung in die schöne neue Arbeitswelt gepriesen wird: So gibt es 20 Gesundheitsmodule, es gibt Massage-Bänke, die Angestellten der Versicherung sitzen ergonomisch auf dem Desk-Bike. Es gibt viel Platz zum Relaxen, die Inneneinrichtung ist kunstvoll hindrapiert, viel Holz, viel Kunst im Büro – aber auch viel Raum für die Menschen?
In der Vorstellung des neuen Sitzes der Versicherung hieß es, dass die Angestellten im Vorfeld eingeladen waren, ihre Vorstellungen und Wünsche mitzuteilen. Aber welche Angestellten?
In den Jahren zuvor hat die Versicherung damit Schlagzeilen gemacht, dass sie in Deutschland Stellen abgebaut hat, rund 900, und dass sie die Digitalisierung vorangetrieben hat: „Durch den Einsatz von Software-Robotern könnte die durchschnittliche Bearbeitungszeit von einer Stunde auf fünf Sekunden reduziert werden. Allein in der Testphase habe der Versicherer so 40.000 Arbeitsstunden einsparen können.“
Mein Eindruck ist: Erst wird sich der „alten Menschen“ entledigt, um dann Raum zu schaffen für ein Personal, welches sich die Unternehmensleitung wünscht – und damit Geld da ist, um die tolle neue Arbeitswelt zu erbauen.
Agil, agiler, am agilsten
Vielleicht finden Sie meine Gedanken ungerecht. Das Gebäude ist doch wirklich toll eingerichtet. Und Massage im Büro … Und vielleicht unterstelle ich hier der Zurich Versicherung auch etwas. Vielleicht. Aber warum wird für so ein Prestigegebäude Geld ausgegeben, das für die Menschen, die für das Unternehmen gearbeitet haben, offensichtlich nicht zur Verfügung stand, um Ihre Arbeitsplätze zu erhalten?
Mein Eindruck ist, und das scheint mir bei vielen Unternehmen und in vielen Branchen so zu sein, dass das Potenzial der Menschen, die bereits im Betrieb arbeiten, nicht hoch eingeschätzt wird. Neue Besen kehren eben besser … , sind agiler …
Aber liegt das an den „alten Besen“? Wurden nicht vielmehr über viele Jahre die Mitarbeiter zu braven Erfüllungsgehilfen erzogen, in ein Gerüst gespannt, das ihre Kreativität und ihr Potenzial verkümmern ließ? In so vielen Unternehmen wurde das vorhandene Personal ja auf Linie gedrillt. Und jetzt, weil den Unternehmern ein Licht aufgeht, das mehr Kreativität, mehr Problemlösungspotenzial, mehr geistige Agilität not tut, um noch erfolgreich sein zu können, werden die „alten Besen“ in die Ecke gestellt.
Neue Menschen braucht das Land?
Nein! Es kann nicht sein, dass wir glauben, Menschen austauschen zu müssen, um weiterzukommen. Wir verlieren so viel an Erfahrung, an Potenzial.
Jetzt ist es oft so, dass oben im Headquarter beschlossen wird, dass eine Transformation her muss, und wie sie auszusehen hat. Dann erst wird geschaut, wo bekommen sie die Menschen her, die das umsetzen. Das kann so nicht funktionieren.
Dieser Umgang mit den Mitarbeitern zeigt eine Verständnislosigkeit gegenüber dem menschlichen Potenzial. Denn wer Kreativität und Wachstum fördern will, indem er Mitarbeiter wie neue Puppen in sein schönes neues Puppenhaus steckt, wird schnell merken, dass das nicht reicht, um Potenziale aufrechtzuerhalten – und nachhaltig erfolgreich zu sein.
Auch die neuen Mitarbeiter, die scheinbar gut ins neue Mobiliar passen, werden dort bald verblassen, wenn die Unternehmen nicht neue Umgangsarten finden.
Schlauer ist es, kein neues Gebäude zu bauen, sondern auf die Menschen.